10 Jahre Politisches Herbstseminar der Jugend:

Stabilisierung statt EU-Beitritt der Türkei

Matthias Sehling (MdB)

Matthias Sehling (MdB)

Im zehnten Jahr des bereits institutionalisierten Politischen Herbstseminars der ostpreußischen Jugend, das diesmal in Würzburg durchgeführt wurde, standen die jüngste und die möglicherweise noch erfolgende EU-Osterweiterung um die Türkei im Zentrum der Beiträge und Diskussionen.

Was sich seit dem 1. Mai 2004, dem Tag des EU-Beitritts Litauens und Polens, für Ostpreußen verändert hat und wie die Justierung des Aufgabenkataloges der Landsmannschaft Ostpreußen aussehen könnte, das zeigten René Nehring und Bernhard Knapstein in ihren Beiträgen auf.

Anhand der inneren Verfaßtheit Rußlands arbeitete Nehring den Grad der Möglichkeiten für eine europäische Königsberg-Politik heraus. “Wer glaubt, eine preußisch-russische Kooperationspolitik sei die Zukunft für Königsberg, der vergißt, daß Stalinismus, Nationalsozialismus, Krieg und Vertreibung die alten Eliten ausradiert haben”, so Nehring. Weder der russische noch der baltendeutsche Adel fungierten heute in den Militärs und der Politik als bilaterales Scharnier. Königsberg habe nur im europäischen Kontext eine Zukunft. Die vom BJO ausgehende Vision einer Euroregion Prussia führe zwar derzeit in Moskau zu heftigen Reaktion und Drohungen, so Nehring, allerdings führe an einer Westorientierung Königsbergs kein Weg vorbei. “Lediglich die Frage der Zeitspanne ist offen”, schlußfolgerte der Vizechef des BJO.

Der Politische Grundsatzreferent der LO, Bernhard Knapstein, vertrat – auf die Preußische Treuhand angesprochen – die Auffassung, daß eine harte Politik der Drohung mit juristischen Mitteln nicht nur zu keiner Einigung in der Frage der Vermögensansprüche führe, sondern vielmehr die abweisende Haltung der Polen gegenüber den Vertriebenen verstärke und sogar die wichtige heimatpolitische Arbeit gefährde. Doch auch die partnerschaftliche Politik der Heimatkreisgemeinschaften ist nach Ansicht Knapsteins eine Gratwanderung. “Partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Kreisvertreter und dem polnischem, russischen oder litauischen Landrat macht nur Sinn auf Grundlage von Bekenntnis und Leistung”, so Knapstein. Kostspielige Aufbauarbeit in der Heimat sei nur dann zweckmäßig, wenn immer wieder auch unangenehme, aus Flucht und Vertreibung resultierende Themen angesprochen würden. Wer allerdings nur in offenen Fragen herumstochere, ohne indessen Leistung zu bringen, der werde bald keine Partner mehr haben.

Albrecht Jebens

Albrecht Jebens

Eines der Ergebnisse der von der Preußischen Treuhand losgetretenen Entschädigungsdebatte sei das unselige 2. Frowein-Gutachten, bestätigte der Bundestagsabgeordnete Matthias Sehling (CSU) vorangegangene Debattenbeiträge. Sehling, der den Nullösungs-Vorschlag seiner Fraktionskollegin Erika Steinbach kritisierte, zeigte auf, daß trotz der Rechtswegeröffnung für Enteignete die Bundesregierung eine innerdeutsche Regelung der Vermögensfrage gesetzlich schaffen könnte. Sehling spekulierte mit einer möglichen Außenministerfunktion des derzeitigen Bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber. Auf Anregung aus dem Auditorium versprach der Bundestagsabgeordnete zu überprüfen, ob an dem kursierenden Gerücht, die Bundesregierung könne das Frowein-Gutachten zur Entschädigungsfrage an alle deutschen und polnischen Gerichte versandt haben, etwas dran ist.

Eine ausgewogene Analyse zum möglichen Beitritt der Türkei zur EU lieferte Dr. Albrecht Jebens. “Es gibt durchaus gute Gründe für den Beitritt”, so Jebens. Im Zentrum der abzuwägenden Gründe für oder gegen einen Beitritt stehe allerdings der mittelalterliche Zustand des Islams. Die Religion ist wenig gefestigt und anfällig für religiöse Fanatiker. Der westlich orientierte Kemalismus in der Türkei könne sich nur noch auf die Armee stützen. Die Säkularisierung werde jedoch zunehmend von Fundamentalisten angegriffen. Falle sie zu Gunsten des muslimischen Staates, dann sei es um das christlich geprägte Europa geschehen. Auch das Auditorium befand, daß die Ereignisse in Holland dunkle Schatten auf die kulturpolitische Beliebigkeit würfen und nicht für die Utopie der multikulturellen Gesellschaft sprächen.

Fritz Schenk

Fritz Schenk

Ein besonderer Hochgenuß für alle Beteiligten war der Vortrag des früheren ZDF-Journalisten Fritz Schenk zur Meinungs- und Informationsfreiheit in Deutschland. Nicht nur, daß der Vortrag in dem aus dem 8. Jahrhundert stammenden Würzburger Bürgerspital, gehalten wurde. Auch eine Verkostigung des berühmten Würzburger Stein-Weins, welchen sich schon die britische Königin zur Hochzeit kredenzen ließ, gehörte zu den herausragenden Programmpunkten der von BJO-Vizechef Rüdiger Danowski konzipierten und geleiteten Tagung und gab dem Abend einen würdigen Verlauf.

Der Fall Hohmann habe gezeigt, so konstatierte Fritz Schenk, wie weit der deutsche Journalismus bereits wieder in totalitaristische Funktionen, darunter Propaganda und Agitation, verfallen sei. Es gehe ihm nicht nur um Martin Hohmann. Dieser wurde aus der Unions-Bundestagsfraktion und aus der Partei ausgeschlossen, weil ihm aufgrund einer durchaus kritisch zu betrachtenden Rede zum Tag der deutschen Einheit, in welcher er es abgelehnt hatte, das jüdische Volk ein Tätervolk zu nennen, der abstruse Vorwurf des Antisemitismus entgegengehalten wird.

Wichtiger als die Person Hohmann sei der Schutz des Grundgesetzes, so Schenk. Die Artikel 5 und 38 des Grundgesetzes gewährten die Meinungsfreiheit und unterwürfen jeden Abgeordneten nur seinem Gewissen, nicht aber der Parteiräson. Schon deshalb müsse Hohmann sich bis zum Bundesverfassungsgericht gegen die Ausschlußbeschlüsse werfen und für die freiheitliche Demokratie kämpfen.

Das Herbstseminar, das mit den kompetenten Vorträgen die demokratische Streitkultur mustergültig gefördert hat, beschloß versöhnlich der Neidenburger und ehemalige WDR-Chefredakteur Heinz Kays mit heiteren Geschichten aus Ostpreußen, dem als letzter Höhepunkt nur noch das Lied der Ostpreußen folgen konnte.

(EB)

Tafeln im Würzburger Bürgerspital

Tafeln im Würzburger Bürgerspital

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